„Ein spannender Perspektivwechsel“ – Veronika Rücker im Interview
Veronika Rücker ist seit Juli beim Deutschen Tennis Bund als Geschäftsführerin Sport verantwortlich für den Leistungssport des DTB. Im Interview gibt sie spannende Einblicke!

Veronika Rücker verantwortet seit Juli als DTB-Geschäftsführerin Sport in Kooperation mit den entsprechenden Vizepräsidenten den gesamten Leistungssport des DTB und kümmert sich um die strategische Ausrichtung dieses Bereichs. Rücker war seit 2018 bis Ende des vergangenen Jahres Vorstandsvorsitzende des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB). Schon seit vielen Jahren ist die 52-jährige Kölnerin dem Tennissport in unterschiedlicher Form eng verbunden. So verfügt sie als Spielerin und als A-Trainerin des DTB über langjährige Erfahrung im Spitzen- und Wettkampfsport. Zudem war Rücker von 2005 bis 2011 als Referentin Sportentwicklung ehrenamtlich für den DTB aktiv.
Veronika, als du am 1. Juli dein Amt angetreten hast, war der Deutsche Tennis Bund keine unbekannte Größe für dich ...
Genau, die Struktur und viele der handelnden Akteure kannte ich tatsächlich schon sehr gut, was meinen Einstieg unglaublich erleichtert hat. Das war sehr angenehm. Für mich fühlte es sich ein wenig an, als würde ich nach Hause zurückkehren.
Gilt das auch für die Zusammenarbeit mit den beiden anderen Geschäftsführern Peter Mayer und Simon Papendorf? Mayer ist für Organisation, Verbandsentwicklung und Finanzen sowie Sportentwicklung verantwortlich, Papendorf für Marketing, Sales und PR.
Selbstverständlich (lacht)! Wir ergänzen uns in dem, was jeder einzelne mitbringt, sehr gut. Die verschiedenen Aufgabenfelder sind auf der einen Seite klar abgegrenzt, auf der anderen Seite fühlen wir uns alle drei in hohem Maße dafür verantwortlich, den Deutschen Tennis Bund weiterzuentwickeln. Das funktioniert optimal.
Gibt es trotz deiner langen DTB-Erfahrung Dinge, die dich in deinen ersten hundert Amtstagen überrascht haben?
Ich war ja bislang beim DTB nicht für den Spitzensport verantwortlich, somit gab und gibt es da viel Neues für mich zu erfahren. Allerdings kenne ich viele Themen, für die ich jetzt im DTB zuständig bin, bereits aus Sicht des DOSB. Insofern kenne ich Inhalte der Diskussionen schon, , aber es ist spannend, das nun aus einer anderen Perspektive zu erleben. Vor allem, wenn es um Dinge geht, über die sich früher im DOSB viele Mitgliedsorganisationen beschwert haben.
Welche denn?
Zum Beispiel, dass die gesamte Bundesförderung mit unheimlich viel Bürokratisierung verbunden ist.
War dir das damals im DOSB nicht bewusst?
Doch, das war uns schon bewusst, aber nun erlebe ich das aus der anderen Perspektive, nämlich der einer Mitgliedsorganisation und damit des Antragstellers. Früher ging es darum zu kämpfen, dass die Vorgaben reduziert werden, jetzt geht es darum, genau diese Vorgaben einzuhalten. In erster Linie ist mir in den ersten hundert Tagen aber bewusst geworden ist, wie viel Positives im Nachwuchsleistungs- und Spitzensport bereits im DTB passiert, wie viel da schon in Angriff genommen worden ist. Aber natürlich gibt es auch Ansatzpunkte, die man optimieren kann.
Was sind denn die größten Problemfelder in der Leistungssportförderung in Deutschland, in Bezug auf den Tennissport?
Tennis ist als Individualsport dafür prädestiniert, dass Erfolge auf völlig unterschiedlichen Wegen errungen werden können. Manche Athletinnen und Athleten wählen ihren ganz eigenen Lösungsansatz, manche machen sich gemeinsam mit uns auf den Weg. Es gibt völlig unterschiedliche Konzepte, talentierte Kinder und Jugendliche nach vorne zu bringen.
Wie sieht es mit den Konzepten aus, die der DTB dazu beisteuert?
Unser Anspruch als Spitzenverband ist es, dass die Konzepte, von denen wir überzeugt sind, auch bis in die Basis hineingelebt und umgesetzt werden. Das bedeutet beispielsweise, dass in jedem Landesverband, völlig unabhängig von den verantwortlichen Trainern, nach der gleichen Rahmentrainingskonzeption gearbeitet wird.
Ist dies bislang nicht der Fall?
Das kann ich noch nicht flächendeckend beurteilen. Unser Anspruch muss es aber sein, dass dies zukünftig so ist.
Welche Rolle spielen die vier DTB-Bundesstützpunkte? Hat sich die teilweise Zentralisierung der Spitzensportförderung bewährt?
Talentierte Kinder und Jugendliche zusammenzuführen, ist ein wichtiges Element in der leistungssportlichen Entwicklung. In den Stützpunkten können sie sich nicht nur miteinander messen und gemeinsam weiterentwickeln, sondern haben immer auch eine Orientierung nach oben, um Schritt für Schritt besser zu werden.
Hast du schon alle Bundesstützpunkte besucht?
Ja, das war eine meiner ersten Amtshandlungen, noch gemeinsam mit meinem Vorgänger Klaus Eberhard. Ich wollte möglichst zeitnah alle handelnden Personen, Trainer und Kaderspieler kennenlernen. Inzwischen war ich schon mehrfach an jedem Bundesstützpunkt und habe mir einen guten Überblick verschafft.
Dann sprechen wir doch kurz über die Spielerinnen und Spieler. In der Herren-Weltrangliste stehen aktuell drei Deutsche unter den Top 100, bei den Damen sind es vier, aber erst ab Position 66. Wie siehst du den Profibereich aufgestellt?
Natürlich wird uns zurzeit häufig vorgeworfen, dass wir momentan nicht viele Spielerinnen und Spieler in der absoluten Weltklasse haben. Auf der anderen Seite spielen die Herren in der übernächsten Woche mit den besten acht Nationen um den Davis-Cup. Zudem darf man nicht alleine die aktuelle Situation in den Blick nehmen. Wir haben gerade im Nachwuchsbereich sehr starke Jahrgänge, die heranreifen. Es ist unsere Aufgabe, diesen Talenten dauerhaft gute Rahmenbedingungen und optimale Entwicklungsperspektiven zu bieten. Und dazu zählt unter anderem die schulische Situation, die uns in Deutschland vor große Herausforderungen stellt. Die Bundesstützpunkte haben das individuell teilweise gut gelöst, aber wir müssen diesen Bereich insgesamt optimieren und Lösungen finden, die speziell unserem Sport entsprechen. Unsere Nachwuchsathleten müssen viel reisen, um Turniere spielen zu können – was aktuell sehr schwierig in Einklang zu bringen ist mit der schulischen Verpflichtung. Hier braucht es praxisfähige Lösungen für unsere Athleten.
Damit sprichst du ein weiteres Problem an – die Turnierlandschaft. Die ist in Deutschland auch ausbaufähig, gerade im internationalen Vergleich …
Im Jugendbereich haben wir die Turnierlandschaft in den letzten Jahren schon deutlich ausgebaut und optimiert. Und auch im Profibereich sind wir mit den ATP und WTA-Turnieren gut aufgestellt. , Auf der Ebene darunter sind wir auf einem guten Weg, aber noch lange nicht am Ende. Insofern gibt es hier schon noch Handlungsbedarf. Wir als DTB können die Turnierveranstalter inhaltlich unterstützen, die Terminplanung aktiv steuern, aber auch zu einem gewissen Grad einen finanziellen Beitrag leisten, damit die Ausrichtung eines Turniers am Ende nicht mit einem wirtschaftlichen Minus verbunden ist. Dazu leisten auch einige unserer Landesverbände schon einen erheblichen Beitrag. Hier sind wir insgesamt als Tennisnation gefordert – andere Länder, wie beispielsweise Italien, sind uns da ein wenig voraus.
Bald findet das Davis Cup-Finale in Málaga statt. Mit Italien, aber auch mit dem deutschen Team. Wirst du vor Ort sein?
Ja, ich werde das Team vor Ort unterstützen.
Delegationsleiter sozusagen ist aber dein Vorgänger im Amt, Klaus Eberhard. Ist das für dich okay?
Ich finde das sehr gut! Zum einen, weil er diese Mannschaft so lange begleitet hat und weil er ein sehr wichtiger Bestandteil dieses Teams ist. Das habe ich in Hamburg hautnah mitbekommen. Es ist also genau die richtige Entscheidung, dass er das Team weiterhin begleitet. Ich war aber auch sehr beeindruckt, wie toll mich das Team in Hamburg in ihre Reihen aufgenommen hat.
Welche Chancen räumst du Michael Kohlmanns Truppe im Viertelfinale gegen Kanada ein?
Es gibt in einer Finalrunde der besten acht Mannschaften keinen leichten Gegner, das ist klar. Kanada hat mit Félix Auger-Aliassime und Denis Shapovalov zwei Weltklassespieler im Team, die uns alles abverlangen werden. Nichtsdestotrotz traue ich unserem Team sehr viel zu. Es hat in Hamburg bewiesen, was mit Teamgeist erreichbar ist. Und da es in der gleichen Besetzung in Málaga auflaufen wird, ist dort vieles möglich.
Auch der Titel?
Das ist natürlich sehr ambitioniert. Aber ich bin der festen Überzeugung, dass alle Mitglieder des Teams alles geben werden, um zu gewinnen. Wie weit das dann reicht, wird man sehen.
Interview: Achim Fessler